Für dpa, 16.2.2011, veröffentlicht auf ntv.de u.a.
Rambos oder kluge Köpfe – Bundeswehr auf der Suche
Von Stephanie Geißler, dpa
(Mit Bild) =
«Und ist alles ihm zu schwer, geht er halt zur Bundeswehr.» Die Armee kämpft seit jeher mit Vorurteilen. Mit der Abschaffung der Wehrpflicht steht sie jetzt vor neuen Herausforderungen. Sie wirbt um kluge Köpfe - doch vielleicht kommen nur Rambos.
Bruchsal (dpa/lsw) – Jan Frederik Münker trägt seinen Tarnanzug mit Stolz. «Ein paar links eingestellten Typen in der Schule habe ich schon hin und wieder die Meinung geigen müssen», erzählt er und schlägt ein olivgrünes Bein über das andere. «Aber die meisten meiner Freunde fanden es in Ordnung.» Der schlanke Junge mit den blonden, kurz geschorenen Haaren sitzt im schmucklosen Aufenthaltsraum der Bruchsaler Eichelbergkaserne im Stuhlkreis mit seinen Kameraden. Sie diskutieren über ihre Berufswahl. Münker wird Offizier. Für zwölf Jahre hat er sich verpflichtet. Nach den 15 Monaten Basis-Ausbildung will er an der
Bundeswehr-Universität in Hamburg Betriebswirtschaft studieren.
Ihn reizt vor allem der sportliche Aspekt. «Ich will hier meine körperlichen Grenzen erfahren», sagt der 19-Jährige aus dem nordrhein-westfälischen Siegen. Mit dem Zeigefinger streicht er beiläufig über das matt glänzende, silberne Bändchen, das sich quer über die rechte Schulter seiner Uniform spannt, gleich über der
kleinen Deutschlandfahne. Das Band, Kennzeichen der Offiziere in Ausbildung, ist für den Abiturienten ein silberner Streif am Berufs-Horizont. Die Bundeswehr bietet Stellensicherheit und ein finanziertes Studium. In den kommenden zwölf Jahren hat der junge Mann nichts zu befürchten. Auch die Bundeswehr ist froh, Menschen wie Münker zu begeistern - wenn ab Juli 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt wird, wird die Armee auf Freiwillige wie ihn angewiesen sein. Wie sich das Heer dann zusammensetzt, ist noch nicht abzusehen.
Seit 1956 sorgte die Wehrpflicht für den «Staatsbürger in Uniform». Junge Männer aus allen Gesellschaftsschichten wurden gezogen und sollten die demokratische Verankerung der Bundeswehr garantieren. Diese Idee ist nun aufgekündigt worden, und Skeptiker wie etwa Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) befürchten, die Armee könnte künftig ein Eigenleben führen. In einem Interview mit der Wochenzeitung «Die Zeit» erinnerte Schmidt an die Reichswehr in der Weimarer Republik, die «ein abgeschirmter gesellschaftlicher Körper» gewesen sei. Auch der Blick auf die Berufsarmeen in England und den USA lässt ihn nichts Gutes ahnen. Ihre Rekruten melden sich vor allem «aus den sozialen Unterschichten und aus den Migrantenschichten», die nicht besonders gebildet und auch nicht demokratisch verwurzelt seien. Die Bundeswehr muss ihre Mitglieder daher nun sorgfältig auswählen – und für einen Beruf gewinnen, der noch nie einfach war.
«Ich will noch gar nicht an den Auslandseinsatz und eine mögliche Verwundung denken», meldet sich Fabian Darsch aus der Nähe von Landau zu Wort. Die meisten Kameraden im Stuhlkreis nicken. Der 20-Jährige hat sich im Januar für vier Jahre verpflichtet. «Man kann nicht zur Bundeswehr gehen, wenn man Angst hat. Soviel ist klar», macht sich Darsch Mut, und seine großen braunen Augen blicken nachdenklich zu Boden.
Erschwert wird die Auswahl durch den demografischen Wandel. «Wir sind jetzt ein Unternehmen wie jedes andere, und müssen mit der freien Wirtschaft um junge Menschen konkurrieren – und die werden
künftig immer weniger.» Sylvia Jahnz sitzt im Kreiswehrersatzamt Karlsruhe und kann auch noch nicht abschätzen, wer demnächst vor ihrem Schreibtisch stehen wird.
Ähnliche Worte sind auch von Jürgen Görlich vom Bundesvorstand des Deutschen Bundeswehrverbandes zu hören, der eine intensive Werbung um «kluge Köpfe» fordert. Er geht nicht davon aus, «dass wir zukünftig eine Armee werden, die aus Abenteurern und Verlierern besteht». Aber er verschließt seine Augen nicht vor der Tatsache, dass sich auch Schulabbrecher und Menschen mit schlechten Chancen auf dem freien Markt von der Bundeswehr angezogen fühlen.
Um die richtige Mischung zu bekommen, buhlt die Bundeswehr vor allem um Abiturienten und um Frauen. Dafür will sie die Vereinbarkeit von Familie und Dienst verbessern. Das steht auch im aktuellen Jahresbericht des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus (FDP). Er bezeichnet das Paket mit Kinderbetreuung, Elternzeit und planbaren Versetzungen als eine der «zentralen Attraktivitätsfaktoren für den Dienst in der Bundeswehr».
Mareike Börger aus Osnabrück blickt dieser Entwicklung gespannt entgegen. Die 23-Jährige mit den kurzen hennafarbenen Haaren hat sich wie Jan Frederik Münker für die Offizierslaufbahn entschieden. Sie will an der zweiten Bundeswehruniversität in München Pädagogik studieren. Der Traum von Familie liegt zurzeit im Nebel. «Ich dachte immer, spätestens mit 28 bin ich verheiratet und hab Kinder, aber jetzt hab ich gemerkt, das ist was fürs Märchen. Ich bin keine Prinzessin», sagt Börger und dreht Glas Latte Macchiato in den Händen, das ihr ein Soldat vor ein paar Minuten in den Aufenthaltsraum gebracht hat. Kinder wolle sie dennoch einmal haben, erzählt sie weiter. «Aber dafür braucht es den richtigen Mann, der den Beruf akzeptiert.» Nicht jeder sei bereit, alle paar Jahre umzuziehen, wenn sie in eine andere Kaserne abberufen wird.
Das Lockmittel Studium kann für die Bundeswehr nur ein Weg sein, ihre Reihen zu füllen. Ein weiterer ist der Freiwillige Wehrdienst (FWD). «Bislang war der Wehrdienst das Hauptrekrutierungsinstrument für den Beruf des Soldaten», sagt Sylvia Jahnz. Etwa ein Drittel der Wehrdienstleistenden hat sich laut ihren Erfahrungen nach Ablauf der Dienstzeit verpflichtet. Diese Funktion soll künftig der FWD übernehmen. Rund 15 000 Stellen sollen geschaffen werden, falls der Zuschuss dafür bewilligt wird. Auch hier zielt die Bundeswehr vor allem auf Gymnasiasten. So wird überlegt, ob die Freiwilligen mit Bonuspunkten für Studienplätze belohnt werden oder der Dienst als Praktikum anerkannt werden kann. Und auch der finanzielle Anreiz soll nicht zu kurz kommen: Wo ein Wehrpflichtiger ehemals 378,30 Euro monatlich überwiesen bekam, soll er künftig 873,30 Euro bekommen.
Jan Frederik Münker kann diese Debatte nicht ganz nachvollziehen. Er sieht vor allem Vorteile darin, wenn nur noch diejenigen zum Bund gehen, die auch wirklich wollen. «Da kommt dann keiner mehr, der denkt, "Auf Zivi hab ich keinen Bock, also mach ich halt meine sechs Monate beim Bund"», sagt er entschieden und lehnt sich auf dem harten Holzstuhl zurück. Das wirke sich bestimmt positiv auf die Disziplin aus.
Das Gespräch im Aufenthaltsraum ist beendet. Oberstleutnant Tim Richardt, der es still verfolgt hat, macht sich auf den Weg in sein Büro. Nachdenklich schüttelt er den Kopf. «Die Bedenken sind weit hergeholt.» Der Mann Mitte vierzig, der zwei Kinder hat, sieht die Bundeswehr «fest verankert in der Gesellschaft». Mit Partnerschaften hält die Kaserne den Kontakt zu den umliegenden Gemeinden. Gemeinsam organisieren sie Sportveranstaltungen oder helfen bei Feuerwehreinsätzen. «Hier gibt es keine Ballerrambos, und das wird auch so bleiben.» Daneben habe die Bundeswehr ja auch noch eine Aufgabe zu erfüllen, ein politisches Mandat. «Ein Familienvater hat sicher Besseres zu tun, als sieben Monate in Afghanistan zu hocken und sein Leben aufs Spiel zu setzen. Viele tun es trotzdem, und das muss man als gesellschaftliche Leistung betrachten.»
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